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  • AutorenbildAndreas Karisch

Ich hab was vor – ich geh zum Chor

Aktualisiert: 13. Juli 2022

Seit Jahren schon will ich in einem Chor singen, alleine, ich traue mich nicht. Zudem kann ich keine Noten lesen, kein Instrument spielen und ob ich singen kann, ist nicht bewiesen. Das sind keine idealen Voraussetzungen und nagen an meinem musikalischen Selbstwertgefühl. Aber ich will singen, warum also nicht? Ich liebe den Körper als Instrument und die Kraft, die sich aus gemeinsamen Singen heraus entfaltet.


Vor einem halben Jahr war es dann soweit. In einem Anflug von „wenn nicht jetzt, wann dann“, fragte ich ein bisschen herum und es tat sich ein Chor auf. Frau suche nur Menschen, die bereits singen können, hieß es, aber Männer seien Mangelware und daher trotzdem immer willkommen. Das klingt nicht einladend, ist aber eine Chance.



Ein Unfall und Corona ließen es dann aber erstmal nicht zu und ich war froh darum. Die Möglichkeiten die negativen Konsequenzen meines Handelns zu überblicken, lies mein aufkeimendes Selbstbewustsein in Sachen Singen schnell wieder dahinschmelzen. Eine neue Gruppe und ich kenne niemanden? Laut singen und es hören alle? Alle können singen außer mir? Ich kann keine Noten lesen, kenne die Texte nicht und bin nicht vertraut mit den Melodien. Fluchtgedanken bekommen Oberhand. Lieber in den Krieg ziehen, als Mitsingen? Lieber einen weiteren Unfall haben, als zum Chor gehen? Kann ich nicht Corona bekommen? Könnten nicht die Kinder krank werden? Oder kann ich eine Beerdigung vorschieben? Nichts hilft. Meine vermeintlich letzte Rettung ist die Empfehlung, doch erst mal nur für mich einige Gesangsstunden zu nehmen. Herantasten, Vertrauen gewinnen. Aber es kommt, wie es kommen musste, niemand hat Zeit, andere lassen sich nicht auftun.


Jetzt ist es soweit. Für heute Abend gibt es keine Ausreden mehr. Ich habe Ja gesagt, ich komme. Seit Tagen schlafe ich unruhig. Ich träume schlecht und vermische Krieg und Chor dabei. Im normalen Leben bin ich solchen Situationen gewachsen. Reagiere mit Humor auf ungewohnte Situationen. Bewege mich gekonnt in großen Gruppen. Übernehme gerne die Führung und gebe Vertrauensvorsprung in dem ich etwas von mir preisgebe. Aber Chor? Unerklärlich, welche Hemmungen ich da an den Tag lege.


Nicht ganz. In den letzten Jahren bin ich achtsamer geworden. Feinfühliger für meine Intuitionen und Empfindungen und die anderer. Das macht mich zufriedener, aber ich kann mich nicht mehr so ohne weiteres mit einem beherzten „was kostet die Welt“ über das, was ich wahrnehme, hinwegsetzen. Ich will mich mit meiner inneren Stimme und meinen inneren Widerständen auseinandersetzen. Diese rühren vielleicht daraus hervor, dass ich so lange musikalisch im Schatten meiner Ursprungsfamilie stand. Vielleicht aber auch, weil ich beim Singen in Gemeinschaft mich sehr persönlich preisgebe.


Das war gestern und ich war beim Chor – es war großartig.


Andreas Karisch





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